Ich heiße Nikolai und meine Freunde nennen mich „Ivan“.
In den 30 Jahren, die ich mittlerweile auf dieser Welt verweile, habe ich stets unglaublich viel Glück gehabt. Beim „Zur Welt Kommen“ fing das mit dem Glück bereits an…
Denn meine Geburt gestaltete sich ziemlich kompliziert, wie meine Ma mir mehrfach berichtete. Dass ich in einer sowjetischen Geburtsstation am Heiligen Abend doch noch das Licht der Welt erblickte, habe ich einer fremden Krankenhauspraktikantin, die gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, zu verdanken.
Nach Stunden voller erfolgloser Versuche der ausgebildeten Hebammen und studierten Ärzte, meiner Mutter zu helfen, mich zur Welt zu bringen, verließ das Personal für eine resignierte Pause das Zimmer zur Beratung. Als Beistand blieb lediglich eine Praktikantin am Krankenhausbett meiner Erzeugerin.
Kurzerhand beschloss die Dame, meiner Mama auf alte, gefährliche und verbotene „Hauruckweise“ zur Geburt zu verhelfen. Dank dieser Frau verließ ich schließlich doch noch lebend Mama’s Körper und kapierte erst mal gar nichts. Ich hab’ nicht mal kapiert, dass dies der Beste Moment war, mit dem „Plärren“ anzufangen. Erzählungen zu Folge habe ich nur blöd und ziemlich „weg getreten“ geguckt und meinen Mund nicht aufbekommen.
Der erlittene Sauerstoffmangel färbte mich blau und mein erstes Heim wurde ein Brutkasten. Das Einstiegskapitel meines Lebens nenne ich damit „Blau zur Welt und ab in `ne Zelle zum Klarkommen“
Den Ärzten gegenüber verschwieg meine Mutter, was die Praktikantin getan hatte und beharrte auf der unglaubwürdigen Geschichte, ich sei plötzlich von alleine raus gekrochen. Natürlich war die Hilfskraft dankbar für diese Lüge. Um ein vielfaches dankbarer war jedoch meine Mutti für das schönste Weihnachtsgeschenk ihres Lebens.
Die ersten knappen acht Jahre meiner Kindheit verlebte ich in einfachen Verhältnissen. Man nannte das Dorf „Mitschürin“. Fließend Wasser oder gar Telefonanschluss gab es in den Haushalten des Ortes nicht. Dafür aber waren wir umgeben von wunderschöner Natur, hatten viele Haus- und Nutztiere und ein hölzernes Plumpsklo.
Mein bester Freund war in dieser Zeit meine kasachische Nachbarin „Dzjaka“. Wir verbrachten die meiste Zeit auf Bäumen und Dächern. Wir waren „Tarzan und Jane“, spielten mit den Tieren und ohne Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, waren wir vermutlich die glücklichsten Kinder der Welt.
Obwohl diese Zeit schon lange zurückliegt, habe ich noch sehr viele Erinnerungen an diesen Teil meines Lebens in der Sowjetunion im Kopf… und am Kopf… und an diversen anderen Stellen meines Körpers.
Das Leben als „Tarzan“ ist nämlich nicht ganz ungefährlich und “Jane” war leider nicht immer in der Nähe, um auf mich aufzupassen. Somit habe ich immer noch viele Narben von ehemaligen Platzwunden, Schnittwunden und Verbrennungen. Stürze von Bäumen und vom Fahrrad, wie ich sie zuhauf hatte, kennt vermutlich fast jedes Kind. Das Anfassen von bzw. das drauf Setzen auf viel zu heiße Sachen ist auch ein Klassiker.
Etwas ungewöhnlicher ist jedoch meine Schnittwunde an der Pulsader, die immer noch deutlich sichtbar ist. Diese Verletzung zeugt mal wieder von dem übermäßigen Glück (“im Unglück” bzw. “trotz Blödheit”), welches mich schon immer begleitet hat: Ich war von Klein auf Fan von Karate- und Kung Fu-Filmen und nachdem ich (den im Jahre 1990 noch recht jungen) Jacky Chan wiedermal die Bösen verprügeln hab sehen, fühlte ich mich bereit für meinen ersten „Bruchtest“. Diesen „Bruchtest“ bestand ich auch locker. Blöd nur, dass ich ein Glas als den zu zerbrechenden Gegenstand wählte. Probiert dies bloß nicht daheim aus, liebe Kinder. Gläser, die man mit der bloßen Hand zerbricht, rächen sich in der Regel umgehend: Zakk-Bum! Klirr! Es spritze und ich schrie… Meine Schwestern kamen aus dem Haus gerannt und sie schrien… Ich lief wie verrückt im Zik-Zak und sie liefen wie verrückt hinter mir her… Es spritze weiter und wir schrien im Kanon… Ich wurde eingefangen, verbunden, und schlief umgehend ein… Meditative Ruhe eines angehenden Kampfsportlers… Zzzzzz… Niemand schrie mehr.
Als ich aufwachte war ich stärker denn je, davon war ich felsenfest überzeugt.
Das zweite Kapitel meines Lebens bekommt den Namen „Auwouhauoawuoaouaoouaoawa“. (Ausgesprochen wird’s halt so wie der Tarzanruf, weisste bescheid, ne?)
Ich kann mir keine glücklichere Kindheit vorstellen als die, die ich erlebt habe. Und auch wenn ich aus „Mitschürin“ nicht weg wollte, kann ich mir im Nachhinein doch keinen besseren Zeitpunkt vorstellen, mein Geburtsland schließlich verlassen zu haben…
Ende 1992 und damit kurz nach der Wende bekam meine Familie die Möglichkeit nach Deutschland und damit in das Land ihrer Vorfahren „zurück“ zu siedeln.
An diesem Punkt war ich nur Tage von meinem achten Geburtstag entfernt und das erste „deutsche“ Weihnachtsfest stand vor der Tür. Wir mussten uns an die neue Welt mit ihren bunten Lichtern, großen Autos, gelben Säcken, fließend Wasser und praktischen Seifenspendern zunächst noch gewöhnen. Es gelang uns. Nicht gänzlich ohne Rückschläge, aber es gelang uns.
In Deutschland führte ich meine schulische Laufbahn fort und studierte außerdem in meiner eigenen Kopf-Uni „Menschen, Tiere und andere Kuriositäten“.
Nebenbei machte ich etwas Kampfsport und lernte leider viel zu spät, dass „Bruchtests“ an Glasobjekten nie ganz ungefährlich sind.
Ich könnte an dieser Stelle erzählen, dass meine Schulzeit letztendlich sehr erfolgreich oder zumindest ziemlich durchschnittlich verlief. Beides träfe es jedoch nicht ganz, deswegen erzähle ich über meine Schulzeit besser gar nichts außer: Ich habe sehr viel gelernt! Und letztendlich geht es doch (nicht nur) in der Schule genau darum, oder nicht?
Viele Ereignisse beeinflussten in dieser Lebensphase meine Entwicklung und die meisten sind zu persönlich um sie der Weltöffentlichkeit preis zu geben. Wer Lust hat, etwas Genaueres zu erfahren, der lädt mich bitte auf ein bis zwölf Bier ein und ich werde sicherlich gerne plaudern…
Es war eine wilde, eine tolle Phase mit unglaublich vielen Highlights. Jedoch ging dieses Kapitel meines Lebens nicht ohne ein schreckliches Ereignis zu Ende. Unser Kumpel Gerrit verließ uns alle viel zu früh! Allerdings bin ich – genau wie nach meinem Pulsaderschnitt aus der Kindheit – felsenfest davon überzeugt auch hier wieder nach einer zermürbenden Trauerzeit stärker geworden zu sein. Ehrlich gesagt stehe ich kurz vor „Unbesiegbarkeit“.
Dieses Kapitel nenne ich „Jacques Jour, Du hast nicht die leiseste Ahnung“ (Für ‘Insider’ ergibt dieser Satz sehr wohl einen Sinn und alle anderen sind dann doch auf “ein bis zwölf Bier trinken” angewiesen um Näheres von mir zu erfahren). Und immer wenn ich an diese Phase meines Lebens denke, denke ich auch jedesmal unweigerlich an meinen verstorbenen Kumpel Gerrit, dem ich dieses Projekt widme…
Schließlich führte es mich nach der Schule, verschiedenen Minijobs, diversen Praktika und einer touristischen Ausbildung im Reisebüro wieder ins Ausland.
Nun bin ich seit über fünf Jahren für „DER-Touristik“ als Reiseleiter tätig. Durch meine Arbeit aber auch aus privater Initiative bin ich überdurchschnittlich viel herum gekommen. Dabei konnte ich immer wieder feststellen, dass längere Auslandsaufenthalte die eigene Persönlichkeit “wachsen” lassen: Man lernt die Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, man lernt Respekt zu empfinden, der nicht nur an Status oder Alter gebunden ist, man lernt uneingeschränkt Freude zu teilen, man lernt und lernt und lernt…
Bin ich anfangs nur zufällig zu vermehrten Reisen gekommen, habe ich mich mittlerweile bewusst für das Nomadenleben entschieden. Habe ich die Reisen zunächst nur als Möglichkeit gesehen, fremde Kulturen zu beschnuppern und Sehenswürdigkeiten für Daheimgebliebene zu fotografieren, sehe ich sie heute als Chance, das Leben für viele Menschen wertvoller zu machen. In Verbindung mit der heutigen Kommunikationstechnik kann es vor allem auch ein Weg sein, Leute zu mobilisieren, anderen, denen es weniger gut geht zu helfen. Dabei soll sowohl der Empfangene, wie auch der Gebende ein positives Erlebnis erfahren.
Und so kann ich nun anfangen, am neuesten Kapitel meines Lebens zu schreiben: „Help `n` Travel“.
Den Wunsch, Gutes zu tun und den positiven Gedanken dahinter großflächig zu verbreiten, verspüre ich schon seit geraumer Zeit. Nun endlich, im Alter von 30 Jahren lichtet sich auf wundersame Weise der Nebel, hinter dem sich die Antwort auf das „aber WIE?“ versteckt hat und es wird für mich endlich Zeit aktiv zu werden…
Und wieder habe ich großes Glück gehabt und durch Zufall mit meinem Vorhaben bei den richtigen Personen Gehör gefunden und großartige Hilfe erhalten.
Für mich wird es ist Zeit, der Welt etwas positive Energie zurück zu geben!
Peace!
Viel Erfolg und noch mehr Freude bei deinem Vorhaben, lieber Ivan.
Danke Dir!
Hola Nikolai, es ist mir eine Freude Dein “Leben begann als Tarzan” zu lesen und ehrlich gesagt war ich erschüttert als ich unten ankam und feststellen musste, dass es nicht weitergeht auf Seite 2. Sehr toll geschrieben und es war mir ein Fest! Ich wünsche Dir für Dein Projekt alles erdenklich Gute, die richtigen Menschen die am richtigen Ort und zur richtigen Zeit Deinen Weg kreuzen und weiterhin den Schuss der kleinen Verrücktheit um das so humorvoll zu gestalten 🙂
besitos aus Ibiza
Kirstin
Que guay! Muchisimas gracias!
Und es hat MIR unglaublich viel Spaß gemacht, Deinen Kommentar zu lesen 🙂