20.11.2015
Wie es sich für den ersten Schultag gehört, bin ich ganz schön aufgeregt. Werden mich die anderen Kinder wohl mögen? Sind die Lehrer auch nett zu mir?
Die Aufregung verfliegt jedoch schnell und es stellt sich heraus, dass mich alle ganz supertoll finden und unglaublich herzlich zu mir sind. Warum sollten die „anderen Kinder“ auch gemein zu mir sein? Immerhin bin ich der mit Abstand Größte von allen und könnte mich bei Gemeinheiten ja rächen. Nein, die Kinder sind klug und wählen lieber die Variante, auf der Seite des “weißen Riesen” zu sein.
Die Lehrer lieben freiwillige Mitarbeiter grundsätzlich und finden es natürlich toll, wenn ihnen hin und wieder jemand unter die Arme greifen kann. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit also.
Tshega ist übrigens eine christliche Organisation und so beginnt jeder Tag mit einer kurzen Gebetsrunde mit den Kollegen. Was sich zunächst konservativ-langweilig anhört ist letztendlich ziemlich interessant, überaus Action geladen und einfach der beste Wachmacher in den Morgenstunden. Meist wird zu Beginn ein Preislied angestimmt zu dem laut geklatscht und getanzt wird. Die meisten Teilnehmer schließen dabei ihre Augen um die entstehende Energie ohne visuelle Ablenkung aufsaugen zu können. Ich dagegen bin ja nicht nur als Helfer an diesen Ort gekommen, sondern auch als Beobachter, weswegen ich nicht anders kann, als meine Augen aufzusperren und das Gottesdienstverhalten der Anderen zu studieren. Ich sehe förmlich, wie heftige Energieströme von diesen Menschen aufgesogen werden. Extatisch werden die Hände in den Himmel gerissen, während die Melodie den Körper und der gesungene Text den Geist mitreist. Sobald das erste Lied ausklingt, tritt täglich jemand anderes nach vorne um etwas vorzulesen oder eine freie Predigt zu halten. Vor allem die männlichen Prediger zeigen dabei vollsten Einsatz und SCHREIEN einem lauthals Gottes Wort entgegen. „Amen“ und „Halleluja“ hört man als Zuspruch von allen Seiten. Die morgendliche Gebetsrunde geht mir jedesmal durch Mark und Bein. Und auch wenn dieser Tagesordnungspunkt freiwillig ist, möchte ich ihn nicht missen. Hier im ländlichen Südafrika hat der christliche Rückhalt übrigens eine noch größere Gewichtung als woanders. Auf dem Land ist der Aberglaube nämlich noch stark verbreitet und so kommt es immer noch zu sinnlosen Blutopfern und Verstümmlungen, an denen die meist jungen Opfer seelisch noch lange zu knabbern haben. Es herrscht außerdem noch die Angst vor Hexen und ich erfahre, dass es tatsächlich noch zu “Hexenverbrennungen” kommt. Das Christentum bietet somit einen Ausweg aus dem Aberglauben. Und natürlich erfüllt diesen Zweck auch die Schule, die durch Bildung aufklärt.
Der kurze, aber knackige Gottesdienst endet und Rebeca, die stellvertretende Schulleitung nimmt mich an die Hand und stellt mir nacheinander alle Klassen vor. In jedem neuen Klassenzimmer werde ich im Chor begrüßt und überall kann ich die Neugierde in den kleinen Augen sehen. Die Grundschule besteht übrigens aus den Jahrgängen Eins bis Sieben und hat neben einem Kindergarten auch noch einen Vorschuljahrgang.
Nach dem Rundgang mit Rebeca setze ich mich mit Ellanie zusammen um meine Aufgabenfelder zu besprechen. Eigentlich versucht man die Volunteers recht schnell auf ein Aufgabengebiet zu spezialisieren, in dem sie sich am wohlsten fühlen und dort somit den größten Erfolg erzielen können. Doch Ellanie versteht auch, dass ich mich nicht spezialisieren lassen möchte. Ich bin schließlich hier um alle Facetten des Projektes vorzustellen und möchte demnach einfach überall rein schnuppern. Da in gut zwei Wochen bereits die Sommer- bzw. Weihnachtsferien beginnen (ja, hier fallen die Weihnachtsferien in den Sommer), möchte ich mich in dieser Zeit auf die Arbeit mit den Kindern und auf ihre letzten Schulstunden konzentrieren. Ich plane beim Unterricht der verschiedenen Klassen rein zu schnuppern und die Lehrer zu unterstützen. Des weiteren ist eines meiner Vorhaben, für die Jahrgänge Drei bis Sieben eine Erdkundestunde vorzubereiten. Der Unterricht soll die Form einer Power-Point-Präsentation haben, bei der ich den Kindern anhand privater Fotos etwas von der Welt zeige. Zur Veranschaulichung bestelle ich demnächst riesige Weltkarten für die Wände der höheren Klassen. Ich hoffe, dass diese Aktion die Schüler animiert weiterhin fleißig zu sein um dann irgendwann selbst in der Lage sein zu können, die schönsten Orte unseres Planeten zu besuchen. Zum Abschluss des Schuljahres findet außerdem ein Preisverleihungs-Konzert statt, bei dessen Vorbereitung ich natürlich auch behilflich sein möchte. Bei dieser Veranstaltung wird jede Klasse Etwas aufführen. Es wird gesungen, getanzt und Gedichte werden aufgesagt. Und die erfolgreichsten Schüler des Jahres werden geehrt und sogar mit Auszeichnungen belohnt. Zuschauer werden die Eltern und Verwandten sein, dessen Herzen sicherlich dahin schmelzen werden, sobald sie ihre Schützlinge auf einer großen Bühne performen sehen. Aber auch die Projekte, die im Dorf statt finden, möchte ich besuchen. Es gibt eine Art Hausaufgabenclub bei dem auch Essen an die Kleinen ausgeteilt wird und dazu werden die ärmsten der armen Familien in ihren notdürftigen Unterkünften besucht und mit dem Nötigsten versorgt.
In den Ferien möchte ich dann den Bauarbeitern beim Errichten des neuen Schulgebäudes zur Hand gehen. Das ist also mein grober Plan bis kurz vor Weihnachten. Ellanie lässt mir bei der Planung und Einteilung freie Hand und freut sich auf die Berichterstattung.
In der nächsten Pause mische ich mich erstmals unter das Zwergenvolk und werde fast überrannt. Nach den ersten „High-Fives“ kleben die Racker an meinen Beinen, wollen hoch gehoben werden und von allen Seiten höre ich „Sir! Sir! Sir!“ Auch wenn die Kiddies hier schon viele weiße Helfer gesehen haben und Weiße auch zum Lehr- bzw. Verwaltungspersonal gehören, sind sie trotzdem immer noch fasziniert von der hellen Haut. So streicheln sie über meinen Arm und sind teils überrascht, dass sich die Haut nicht merklich anders anfühlt, als ihre Eigene. Noch interessierter sind sie aber an meinen Haaren, die ich heute hoch-gegelt habe und die scheinbar wie durch Zauberhand meinen Kopf zum Igel bzw. Stachelschwein werden lassen.
Nach der Pause besuche ich den Erdkundeunterricht der sechsten Klasse und merke dabei, wie unpraktisch es ist, keine große Weltkarte zu haben. Längen- und Breitengrade sind heute das Thema und der Lehrer muss zu jedem Tisch laufen um etwas zu erklären. Als die manuelle Schulglocke zu hören ist, werde ich belagert und muss Fragen zu meiner Herkunft beantworten.
Als die Glocke dann erneut geläutet wird, kann ich mich schließlich befreien und gehe zum Kunstunterricht der dritten Klasse. Bei dieser Gelegenheit wird mir bewusst, dass mir essentielles Wissen fehlt, da ich nie einen Kindergarten besucht habe. Die Kinder bekommen die Aufgabe einen Regenbogen zu malen bzw. zu basteln und ich kenne die Reihenfolge der Farben nicht. Mit der Hilfe von Chantal, ihrer Lehrerin kann ich mir schließlich einen S
pickzettel malen die Kinder dann doch unterstützen. Zum Schluss pinne ich die 24 schönsten Regenbögen, die ich je gesehen habe an die Wand und der restliche Unterricht besteht aus verschiedenen Sing- und Tanzspielen auf dem Hof bzw. im Schulgarten. Und alle wollen sie meine Hand halten und im Kreis neben mir stehen. Es bricht sogar ein kleiner Streit aus, den ich charmant schlichten muss.
Der Schultag geht zu Ende und ich fühle mich großartig. Während meiner eigenen Schulzeit war ich jedenfalls nicht so beliebt, vor allem nicht bei den Lehrern!
Nächste Woche geht es schon weiter. Schalt dann auch Du ein, wenn es wieder heißt „Help ‘n’ Travel“!!!
Peace!
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