28.11.2015
„Tshega“ übrigens, heißt frei übersetzt soviel wie “kindliche Vorfreude”. Und diese konnte ich bereits gestern bei der Generalprobe für die heutige Veranstaltung wahrnehmen. Als alle Items schließlich „saßen“, stürmten über hundert Kinder die Bühne und tanzten und tanzten und tanzten. Und obwohl das Personal eigentlich geplant hatte um diese Zeit schon zu Hause zu sein, ließ man den Kindern natürlich ihre (Vor)freude und drehte die Musik zudem noch einige Dezibel lauter. Ein Härtetest für Weynand’s und meine Bühnenkonstruktion war es außerdem. Ergebnis: Bestanden! Mit Bravour, sogar! Ich frage mich, ob morgen auch eine Auszeichnung für die beste Bühne verliehen wird…
Große Vorfreude zeigen am nächsten Morgen aber auch die Eltern. Obwohl die Zeremonie erst um 10:00 beginnen soll, kommen die ersten Zuschauer bereits um 8:30. Sie suchen sich schöne Plätze und breiten ihr Frühstückspicknick aus. Ich wurde bereits gestern „gewarnt“, dass das Verhalten der Bevölkerung aus den umliegenden Dörfern bei einer solchen Veranstaltung eher einem Volksfest gleicht. Und jetzt wird mir bewusst, was damit gemeint war. Es wird immer lauter und die Leute sammeln sich in Grüppchen, essen, debattieren laut und lachen ausgelassen. Die stolzen Eltern können es kaum erwarten ihre Schützlinge in Aktion zu sehen. Ich denke an vergleichbare Veranstaltungen in meinen ehemaligen Schulen und an die stocksteife Atmosphäre bei Solchen. Ich muss grinsen und staune über die Lebensfreude der Einheimischen.
Nach einem gemeinsamen Gebet und der offiziellen Eröffnungsansprache durch Ellanie beginnt die Vorstellung pünktlich mit der musikalischen Einstimmung durch den Schulchor. Die Allerjüngsten, sprich die Kindergartenkinder dürfen daraufhin als erste ihr Item aufführen.
Die niedlichen drei- bis fünf-jährigen Knirpse beeindrucken zunächst mit einem synchronen Gebet, bevor sie den Zuschauern vorführen, welche Farben, Formen und Zahlen sie bereits gelernt haben. Zum Abschluss folgt noch eine choreographierte Lobpreisung des Herrn und der Stolz der Eltern schwappt durch die Halle bis er sich in die letzte Ecke der Kirche ausgebreitet hat.
Dem Alter aufsteigend gemäß geht es weiter. „Grade R“ bildet eine Art Vorschule, das Verbindungsstück zwischen Kindergarten und erster Klasse. Die Zwerge aus „Grade R“, die die Kindergartenkinder größentechnisch gerade mal um einige wenige Zentimeter überragen, stehen ihrer Vorgängern beim Niedlichkeitsgrad in nichts nach. Nationalfähnchen wedelnd beginnen sie mit einem Gedicht über Südafrika um danach ihre lustigen Tanzschritte zu demonstrieren. Das Publikum ist im höchsten Maße amüsiert und es gibt einen überragenden Applaus.
Als nächstes treten die beiden ersten Klassen (1A & 1B) nacheinander auf und singen und tanzen alle Zuschauer glücklich. Die Schüler beider Klassen und alle folgenden Kinder werden nach ihren absolvierten Items standesgemäß geehrt. Zunächst gibt es eine Urkunde für die Versetzung und eine Auszeichnung der größten persönlichen Stärke. Daraufhin werden die besten Schüler aller Fächer ernannt, zudem die, die sich am auffälligsten verbessert haben. Als Zusatz werden „Conquista-Urkunden“ verteilt. Diese Auszeichnungen für Hauptfächer werden von einer externen Behörde vergeben, die die Abschlussprüfungen der Schüler nach strengeren Regeln bewertet. Ellanie beauftragt diese Behörde freiwillig um den Unterricht ihrer Schule an den, in den Städten anzugleichen. Es ist nämlich ein offenes Geheimnis, dass der Standard der ländlichen Schulen stark hinterher hinkt gegenüber den Städtischen. Diverse Studien haben gezeigt, dass vor allem die öffentlichen Schulen auf dem Land eher Betreuungseinrichtungen ohne Lehrziel gleichen, bei denen die Kinder kaum Englisch lernen und auch sonst nicht gefördert, sondern eher dem Spielen, Tollen und vor allem sich selbst überlassen werden. Etwas besser sieht es bei den privaten Schulen aus, wobei auch diese ihre Probleme damit haben gutes Lehrpersonal zu finden. „Landflucht“ kennt man natürlich auch in Afrika. Tshega jedoch schafft es seit Jahren durch ein kluges Management, seine Lehrer größtenteils zu binden und gehört ohne Zweifel zu den besten „Primary Schools“ der Limpopo-Provinz. Ein schwerer Weg zeichnet sich jedoch auch für Tshega und seine Projekte ab: Dieses Jahr ist nämlich der Hauptsponsor “MyKidz Foundation” auf Grund wirtschaftlicher Probleme abgesprungen und somit müssen neue Strategien ausgeklügelt und vor allem neue Sponsoren gefunden werden.
Jetzt aber zurück zu erfreulicheren Themen: talentierte Kinder, ihre Aufführungen und gerührte Erzeuger! Alle Kinder machen eine tolle Figur und der Beifall sowie die Anfeuerungsrufe kennen keine Grenzen. Vor allem die Mütter sind mit Herz und Seele und auch mit ihrem Leib dabei. So rennt manche Mama direkt vor die Bühne, macht ihre Schnappschüsse vom Nachwuchs und schreit etwas in „Sepedi“. Die Sprache der Einheimischen ist für mich natürlich nicht zu entschlüsseln. Jedoch weiß ich, dass das Gerufene ziemlich lustig sein muss. Die restliche Menge jedenfalls lacht, jault und schreit entsprechenden Müttern lauthals zu. Und auch die Kinder selbst lachen darüber, ich entdecke Keines, das von der Aktion seiner Mutti peinlich berührt ist. Die Menschen hier haben zudem noch eine etwas andere Art der Beifallsbekundung entwickelt. Zwei Geräusche sind dabei im Besonderen zu erwähnen: das erste Geräusch erinnert an das Gebrüll eines Löwen und das zweite an den Kampfschrei eines Indianerstammes, wie man ihn aus alten Westernfilmen kennt. – Schnalz mal Deine Zunge ganz schnell von links nach rechts (Linkshänder bitte andersrum) und stoße dabei eine Menge Luft aus, wobei der entstehende Grundvokal Richtung „U“ oder „O“ gehen sollte. Zakk! Fertig! Da haste deinen südafrikanischen Anfeuerungsruf. Viel Spaß bei der Anwendung während der nächsten Tanzvorstellung deiner kleinen Nichte.
Besonders erwähnenswert finde ich die Tanz-Items der dritten und der vierten Klasse. Die Drittklässler interpretieren den „Cha Cha Slide“-Song neu und die Viertklässler beeindrucken mit ihrer Tanzperformance, die sie mit einfachsten Mitteln (bunte Papierbändchen an Stöcke gebunden) unheimlich sehenswert machen. Die Menge tobt und ich komme mir vor, als sei ich inmitten eines Löwenrudels, das von einer Horde Indianer ruhig zu halten versucht wird. Schade liebe Indianer, funktioniert nämlich mal so gar nicht!
Zwischen den Items gibt es zwei weitere Chorauftritte und auch zwei meiner Mitbewohner bekommen jeweils etwas „Sendezeit“. Weynand spielt Gitarre und singt und Amilia belässt es beim Gesang: beim Engelsgesang! Ich bin mir nicht sicher, ob auch „Südafrika sucht den Superstar“, doch falls ja, hätte Südafrika mal genau hier und jetzt suchen sollen…
Die besten Fuß- und Netzballpieler bekommen ebenfalls ihren verdienten Ruhm. Eine ganz besondere Auszeichnung geht an ein Mädchen aus der fünften Klasse. Die Schülerin ist in ihrer Altersklasse dieses Jahr nämlich südafrikanische Meisterin im „Cross Country“ (Querfeldeinwettrennen) geworden. Glückwunsch!
Der Abschlussklasse gebührt schließlich das große Finale. Die Primaryschool bietet Lehrstoff bis zum einschließlich siebten Jahrgang. Und somit sind es eben die Siebtklässler, die das Publikum endgültig in Ekstase singen und tanzen dürfen. Ich schaue um mich herum und sehe Glückstränen auf unzähligen Wangen und Taschentücher, die abtupfen, was umgehend wieder nachläuft. „We are the chosen generation!“ hallt es durch die Kirche und wer nicht gerade Rotz und Wasser heult, stimmt mit ein. Daraufhin wechselt die Abschlussklasse in eine Art „Pogo-Tanz“, springt wild umher und wedelt, ein imaginäres Lasso schwingend mit der rechten Hand in der Luft. Aus der Musikanlage hallt „Celebrate, celebrate, celebrate…“ Und genau das wird auch gemacht. Die Schüler feiern, die Lehrer feiern, die Menge feiert und Ivan mittendrin, feiert mit. Eine tolle Festkultur, unglaubliche Emotionen und beeindruckende Lebensfreude, wohin man blickt. Ich bin schlichtweg überwältigt. Ganz nebenbei wird mir nun klar, wer den Euro von Herrn Schmock bekommen soll (Was hat es mit Herrn Schmocks Euro auf sich?). “Carabo” aus der Abschlußklasse räumt so gut wie alle Auszeichnungen seines Jahrgangs ab. Der Typ ist nicht nur gut in Mathe, Englisch und diversen
Naturwissenschaften. Auch die Auszeichnungen für soziale Verdienste und besonderen Einsatz gehen an Carabo. Ich habe ihn vorher schon ein paar mal kurz gesprochen und war jedesmal von seiner Freundlichkeit und von seiner Art zu reden erstaunt. Der Typ beeindruckt mich tief und hat die inoffizielle Auszeichnung aus Europa redlich verdient. Doch ist im Abschlußjahrgang noch ein anderer Junge, der mich ebenfalls stark beeindruckt: “Elton” glänzt weniger durch schulische
Bestnoten, als durch seine durchweg positive Einstellung. Mit seinen 14 Jahren ist er der Älteste der Klasse und sieht bereits ziemlich erwachsen aus. Elton lässt sich durch nichts sein Lächeln nehmen und steckt mit seiner Positivität alle anderen in seiner Umgebung an. Er tanzt durchs Leben und dies ist nicht immer nur sprichwörtlich zu verstehen. Ich krame aufgeregt in meinem Portmonnaie und als ich noch einen weiteren Euro entdecke, beschließe ich nach dem Wochenende gleich zwei Jungs mit meiner privaten Preisvergabe zu überraschen. Preisvergabe inkl. Siegerfoto – HIER
Als die Abschiedsgeschenke verteilt werden, müssen schließlich auch die Abgänger Taschentücher gereicht bekommen. Ich wünsche jedenfalls allen, dass das nicht die letzte Abschlussfeier ihres Lebens war und dass sie auch am Ende der High-School und der Uni ihren Emotionen freien Lauf lassen können. Viel Erfolg und…
… Peace!
Schreibe einen Kommentar